Als Ausgleich für Pflege oder Mithilfe mehr vom Erbe bekommen?
Was Erben über die Ausgleichungspflicht im Erbrecht wissen sollten
Manchmal haben Erbberechtigte bei der Nachlassverteilung einen Anspruch auf Ausgleich für Mitarbeit oder Pflegeleistungen zu Lebzeiten des Erblassers. Die sogenannte Ausgleichungspflicht nach § 2057a BGB sorgt in Erbfällen oft für Konflikte.
Nicht alle gesetzlichen Erben bekommen stets gleich viel
Eigentlich gilt in der gesetzlichen Erbfolge der Grundsatz, dass Erben gleichen Rangs auch gleiche Erbansprüche haben. Trotzdem erhalten Erben im gleichen Verwandtschaftsgrad längst nicht immer gleich viel ausbezahlt. Gesetzliche Ausgleichspflichten können sich in unterschiedlich großen Erbsummen niederschlagen.
Anspruch auf Ausgleich für besondere Leistungen
Von diesen Ausgleichspflichten gibt es eine ganze Reihe, beispielsweise für vorab empfangenes Vermögen. Eine weitere Ausgleichspflicht betrifft Pflegeleistungen für den Erblasser oder auch Mitarbeit in dessen Betrieb.
Nehmen wir ein Beispiel: Der Vater ist ohne Testament gestorben. Die Mutter war bereits tot. Es gibt drei erwachsene Kinder: Zwei Söhne, die beide weit entfernt lebten, und eine Tochter, die im gleichen Viertel wohnt. Sie hat ihren Vater in dessen letzten fünf Lebensjahren täglich besucht, Frühstück und Abendessen zubereitet, seine Wäsche gewaschen und die Wohnung geputzt. Gepflegt hat sie ihn ebenfalls. Das führt dazu, dass die Summe, die sie erbt, größer ausfällt als bei ihren Brüdern.
Der Grund für die erbrechtliche Ausgleichspflicht der Brüder gegenüber der Schwester ist allerdings nicht der Umstand, dass diese den Vater so liebevoll und aufopfernd umsorgt hat – jedenfalls nicht per se. Aus erbrechtlicher Sicht entscheidend ist, dass ihr Einsatz geholfen hat, das väterliche Vermögen zu erhalten. Ohne sie hätte der Verstorbene eine Haushaltshilfe und / oder Pflegekräfte bezahlen, unter Umständen sogar in ein Heim gehen müssen. Im Gegenzug kann die Tochter nun bei der Nachlassverteilung von ihren Brüdern Ausgleich für den Wert ihrer Leistungen verlangen.
Wer kann Ausgleich beanspruchen?
Anspruch auf Ausgleich für besondere Leistungen kann nur ein Abkömmling haben – Kinder (einschließlich Adoptivkinder und nichteheliche Kinder), Enkel, Urenkel etc. Deshalb kann die Tochter in unserem Beispiel bei der Auseinandersetzung des Nachlasses einen Ausgleich von ihren Brüdern verlangen. Der Ehepartner eines Verstorbenen hat dagegen keinen solchen Anspruch, genauso wenig wie eine Schwiegertochter oder ein Schwiegersohn.
Was sind »besondere Leistungen« im Sinne des § 2057a BGB?
Für einen Ausgleichsanspruch bei der gesetzlichen Erbfolge können typischerweise die regelmäßige Unterstützung im Haushalt oder Pflegeleistungen sorgen. Weitere Beispiele sind Mithilfe bei der beruflichen Tätigkeit des Erblassers oder in dessen Unternehmen.
Allerdings entfällt die Ausgleichspflicht, wenn der Erbe oder die Erbin für ihre Tätigkeit entlohnt worden sind. Schließlich sollen sie nicht doppelt profitieren.
Nur bei gesetzlicher Erbfolge
Der Ausgleichsanspruch besteht nur, wenn die gesetzliche Erbfolge eintritt bzw. wenn die Erben durch das Testament so bedacht wurden, wie es auch bei der gesetzlichen Erbfolge der Fall gewesen wäre. Ein Beispiel dafür wäre, dass Eltern ein Berliner Testament aufsetzen und ihre Kinder als Schlusserben zu jeweils gleichen Teilen bedenken. Hat der Erblasser dagegen ein Testament hinterlassen oder einen Erbvertrag abgeschlossen und die Erbfolge nach eigenen Vorstellungen, d.h. abweichend vom gesetzlichen Erbrecht des BGB geregelt, dann gibt es keine Ausgleichspflicht.
Wie hoch fällt der Ausgleich aus?
Eine gesetzliche Regelung zur Bewertung gibt es nicht. Das Gesetz schreibt lediglich vor, dass der Ausgleichsanspruch nach »Dauer und Umfang der Leistungen« bemessen werden muss sowie danach, wie es mit »Rücksicht auf den Wert des Nachlasses der Billigkeit entspricht«. Typischerweise gehen die Gerichte dabei in drei Schritten vor: Zuerst muss der Wert der Pflegeleistungen des pflegenden Angehörigen so konkret wie möglich beziffert werden. Hierdurch errechnet man den Betrag, um den das Vermögen des Erblassers geschont wurde. Zur Berechnung werden unter anderem die sozialrechtlichen Pflegesätze aus der Pflegeversicherung (§ 36 Absatz 3 SGB 11) herangezogen.
Auf unser Beispiel bezogen: Nehmen wir an, die Tochter hat den Vater rund 120 Stunden pro Monat bzw. vier Stunden am Tag versorgt. Der Einsatz einer professionellen Pflegekraft hätte mindestens 11 Euro pro Stunde bzw. rund 1.320 Euro pro Monat gekostet. Davon müssen die Leistungen der Pflegeversicherung abgezogen werden. Angenommen, der Vater hatte den Pflegegrad 2, dann hätte ihm die Pflegeversicherung monatlich 689 Euro für seine Pflege gezahlt. Unterm Strich sparte der Einsatz der Tochter dem Vater also monatlich insgesamt 631 Euro. Über einen Zeitraum von rund fünf Jahren kommen so annähernd 40.000 Euro zusammen.
Als zweiter Schritt müssen alle anderen Aspekte, die eventuell noch für den Fall bedeutsam sind, in die Berechnung mit einbezogen werden, z.B. der immaterielle Wert, den die persönlichen Pflege durch einen Angehörigen für den Erblasser hatte, oder die Vorteile (etwa Wohnvorteile oder lebzeitige Schenkungen) die der pflegende Angehörige hatte.
Als letzter Schritt müssen schließlich die Interessen der übrigen Erben und die Höhe des gesamten Nachlasses berücksichtigt werden. Dabei gilt: Die anderen Erben müssen selbstverständlich für den Ausgleichungsbetrag nichts dazu bezahlen. Außerdem darf der Ausgleich nicht den ganzen Nachlass aufzehren, so dass nichts mehr für die anderen übrig bleibt. Das gilt selbst dann, wenn allein die Leistung des pflegenden Angehörigen das Erblasservermögen erhalten hat. Für die endgültige Aufteilung muss eine Gesamtwürdigung vorgenommen werden, und diese muss dem konkreten Wert der Pflege so nah wie möglich kommen.
Dass die Bewertung des Ausgleichsanspruchs schnell für Zündstoff sorgt, liegt auf der Hand. Deshalb landet die Frage nach der korrekten Bewertung nicht selten vor dem Richter.
Wie erfolgt die Ausgleichung?
So geht die Berechnung in unserem Beispiel weiter:
Nehmen wir an, dass der Wert des Nachlasses 250.000 Euro beträgt und die Pflegeleistungen der Tochter über die Jahre hinweg einen Wert von 40.000 Euro haben. Sonstige Vor- oder Nachteile, die in die Berechnung mit einfließen müssten, gibt es keine. Dann wird im ersten Schritt die ausgleichspflichtige Leistung vom Nachlass abgezogen (250.000 Euro – 40.000 Euro = 210.000 Euro). Diese Teilungsmasse wird unter den drei Geschwistern im Verhältnis zu ihren Erbteilen (1:1:1) aufgeteilt, auf jeden entfallen 70.000 Euro. Der Tochter, die den Vater gepflegt hat, werden die 40.000 Euro hinzugerechnet, sie erhält insgesamt also 110.000 Euro.
Das Ergebnis entspricht in der Gesamtwürdigung auch der Billigkeit, denn der Nachlass wird nicht komplett vom Ausgleichsanspruch der Tochter aufgezehrt. Für die Brüder bleibt noch genug übrig; so erhält hier im Beispiel jeder deutlich mehr als den Pflichtteil.
Fazit:
1. Es lohnt sich, die Pflegetätigkeit zu dokumentieren
Pflege ist oft hart und kostet viel Zeit. Über Geld wird dabei selten gesprochen, obwohl es sinnvoll wäre. Nach dem Tod des Pflegebedürftigen muss der pflegende Abkömmling von sich aus aktiv werden und den Ausgleichsanspruch bei seinen Miterben anmelden und begründen. Dabei ist die pauschale Forderung einer bestimmten Summe meist wenig überzeugend. Viel glaubwürdiger (auch im Fall einer gerichtlichen Auseinandersetzung) ist es, wenn man – zumindest stichprobenartig – ein Pflegetagebuch oder kalendarische Aufzeichnungen vorlegen kann, aus denen hervorgeht, wie oft pro Woche man welche Hilfeleistungen erbracht hat. Muster für ein Pflegetagebuch erhält man übrigens bei der eigenen oder der Pflegekasse des betreuten Angehörigen oder im Internet.
2. Wer Pflege und Mithilfe honorieren will, sollte seinen Nachlass regeln
Wer Pflege oder Mitarbeit durch entsprechende Berücksichtigung beim Erbe honorieren möchte, sollte sich nicht auf den Ausgleichsanspruch verlassen. Ein Testament oder einen Erbvertrag aufzusetzen ist wesentlich sinnvoller. Damit kann beispielsweise festgelegt werden, dass der oder die Pflegende später eine bestimmte Geldsumme erhalten soll. Außerdem lassen sich mit entsprechenden Verfügungen auch die Leistungen von Personen berücksichtigen, die keine Abkömmlinge sind, etwa Schwiegerkinder, Ehepartner oder Lebensgefährten.
Haben Sie Fragen zum Erbrecht oder zum Ausgleichsanspruch?
Mein Name ist Irene Sommer, ich bin Fachanwältin für Sozialrecht. Vorsorgerecht ist einer meiner besonderen Schwerpunkte. Ich nehme mir Zeit für Ihre Fragen und berate Sie ausführlich zu Erbe, Pflege und Nachlass. Nehmen Sie einfach Kontakt mit mir auf.